Manfred Stephan (Hrsg.)

Sintflut und Geologie

Schritte zu einer biblisch-urgeschichtlichen Geologie


Exkurs 2 zu Sintflut und Geologie (3. Aufl.)

Zu Tiefenzeit-Vorstellungen im Altertum

In den altorientalischen Schöpfungsmythen ist die lange Weltzeit auch mit der Theogonie verknüpft, also dem Werden der Götter; aus ihnen entsteht wiederum die sichtbare Welt. So heißt es z. B. im babylonischen Epos Enuma Elisch (19.-17. Jh. v. Chr.): „Äonen wurden groß und erstreckten sich lang, [die Götter] Anschar [und] Kischar wurden geboren, sie überragten jene, die Tage wurden lang, die Jahre mehrten sich“ (Taf. 1,10). Es „vergehen Zeitalter, in denen die Entwürfe der Götter sich ausgestalten“.1 Nach dem spät-sumerischen Dilmun-Mythos (20. Jh. v. Chr.) entstand „im dritten Weltzeitalter“ das Leben durch die sexuelle Vereinigung der von der Göttin Nintu repräsentierten Erde mit dem durch den Gott Enki dargestellten Süßwasserozean.2 Im ägyptischen Apophisbuch (4. Jh. v. Chr.) sagt der Sonnengott Re: „Ich schuf das Vorzeitalter ebenso wie die Göttervorfahren“, und über die Götter Schu und Tefnut sprach er: „Mein Auge [also die Sonne] brachte sie zu mir zurück nach unendlich langer Zeit...“.3 – Ähnlich wie in den Schöpfungsmythen und im Unterschied zu den zwar recht hohen, aber dennoch vergleichsweise niedrigen Patriarchen-Lebenszeiten in den Genealogien der biblischen Urgeschichte (Gen 5 und 11) sind auch die Regierungszeiten (sagenhafter) vorsintflutlicher sumerischer Herrscher auf babylonischen Keilschrifttafeln (ca. 2000 v. Chr.) mit jeweils mehreren Zehntausend Jahren (!) angegeben.4 Diese Tradition umfasst auch vielfache Weltbrände- und Überflutungskatastrophen und hat nach Strobel ihren „Ursprung letztlich im mesopotamisch-babylonischen Raum“. Berossos (3. Jh. v. Chr.) lehrte, dass der Sternenlauf die Zeit einer Feuerkatastrophe und einer Überflutung bestimmt. Er zählt in seinem Werk Babyloniaka zehn „Könige der Assyrer vor der Sintflut auf und benennt für ihre Regierungszeit 120 Saren“, wobei 1 Sar 3.600 Jahre umfasst, „was auf einen Zeitraum von 432.000 Jahren führt. (…) Im umgreifenden Weltdenken des Berossos bezeichnen diese 120 Saren oder 432.000 Jahre wiederum insgesamt ein Fünftel der Weltzeit, die somit sehr exakt auf 2.160.000 Jahre berechnet war, das sind 600 Saren. (...) Zu bedenken bleibt ferner, dass die behaupteten fünf Großabschnitte von je 432.000 Jahren auf einem planetarischen Grundwissen beruhen, insofern sie von den Umläufen der Großplaneten Jupiter und Saturn her konstruiert sind. 432.000 Jahre zielen ab auf 14.400 Saturn- und zugleich auf 36.000 Jupiterumläufe“.5 Sie fußen auf Berechnungen des Planetenlaufes, deren bereits äonenlanger Bestand dabei vorausgesetzt wurde.6 Mit dieser astronomischen Mathematik „verband sich der Rückschluss auf Weltkatastrophen“, die nach antiken Anschauungen ein Weltalter beendeten, bevor ein neues heraufzog.7 „Danach muß es eine Zeit gegeben haben, in der das Frühlingsäquinoktium [Tagundnachtgleiche], das in Äonen den ganzen Tierkreis durchläuft, in der Wasserregion des Tierkreises, in Eas [der Urmutter der Götter] Reich gestanden hat. Damals sank das irdische All in die Wasserflut, und daraus ging eine neue Weltära hervor. Ebenso hat es eine Zeit gegeben, in der das irdische All in den entgegengesetzten, an den Feuerhimmel stoßenden Teil des Weltalls getreten ist. Damals trat eine Feuerflut ein. Die Sintflut muß sich also nach babylonischer Lehre wiederholen, wie sich die Feuermeteorflut wiederholen wird. Hier haben wir also die alte chaldäische Astrologie mit ihrem Glauben an die Weltzeitalter, die sich abwechseln, sobald der Frühlingspunkt in ein anderes Zeichen tritt“.8 – Nicht erst in der Neuzeit erhob sich immer stärkere Kritik gegen den kurzen Zeithorizont der biblischen Urgeschichte.9 Bereits der mittelplatonische Philosoph Celsus spottete darüber (um 180 n. Chr.). Er stufte Moses „Geschichte der Weltentstehung“ unter die „Mythen“ ein. Sie sei „schon darin verfehlt, dass demnach die Welt noch nicht 10.000 Jahre alt sei, sondern viel jünger sein soll“. Er wendet dagegen ein, dass es schon „seit uralter Zeit viele Weltbrände und viele Überschwemmungen gegeben“ habe; diese seien in der kurzen Zeitspanne nicht unterzubringen (Orig. c. Cels. 1,19f.).10 Hier ist bereits knapp das Zeitproblem einer biblisch-urgeschichtlich orientierten Geologie angesprochen. Die umfangreiche Zusammenstellung weltweit verbreiteter Sintflut- bzw. Überflutungs-Traditionen bei Riem lässt erkennen, dass die Lehre astral gesteuerter, mathematischer Zyklizität von Weltbränden und Weltüberflutungen allein auf die babylonische Überlieferung zurückzugehen scheint.11 Strukturell hat diese Lehre Ähnlichkeit mit dem modernen (geologischen) Neokatastrophismus.12


1 Zit. n. Garelli & Leibovici, Schöpfungsmythen (1998), 134.125.
2 Zit. n. Lambert, Schöpfungsmythen (1998), 110.113.
3 Zit. n. Schöpfungserzählungen (1996), 8f.
4 Vgl. Schedl, Orient (1964), 327. Extrem hohe Zahlen hat auch die separat überlieferte Liste des spätbabylonischen Priester-Astronomen/Astrologen Berossos; Listen z.B. bei Schwegler, Urgeschichte (1962), 203f; Schedl, Orient (1964), 327f; Külling, Geschlechtsregister (1997), 6.
5 Strobel, Weltenjahr (1987), 994.1010f.
6 Hengel, Judentum (1988), 350.
7 Strobel, Weltenjahr (1987), 994.
8 Riem, Sintflut (1925), 167.
9 Blei, Erkenntniswege (1981), 120ff.
10 Nach Celsus (1984), 69; Origenes, Kelsos (1986), 39f.
11 Riem, Sintflut (1925), 167.
12 Vgl. z.B. Hansch, Katastrophen (2003); Pálfy, Katastrophen (2005).

Nähere Informationen zu den Quellenangaben in Teil 1 und Teil 2 des Literaturverzeichnisses


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